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Zeitzeuge erinnert sich – Elmshorns Verladestation: Warum dieses Gebäude einen 104-Jährigen auf die Palme bringt

(Quelle: Elmshorner Nachrichten)

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Norbert Schücking hat 40 Jahre in der Baustoffhandlung Joh. Meyn gearbeitet, war zuletzt sogar Inhaber. Er kennt die Geschichte des Gebäudes am Vormstegen wie kein Zweiter.Foto: Brameshuber

40 Jahre hat der Elmshorner Norbert Schücking in dem Gebäude gearbeitet. Und eine Verladestation, sagt er, war das nie.

Die Vergangenheit hängt an der Wohnzimmerwand. Gleich zweimal. Rechts das Porträt des Firmengründers Johann Meyn. Und links ein Bild des Malers Hermann Wehrmann, das das Gebäude der Baustoffgroßhandlung Meyn an der Straße Vormstegen zeigt. Baujahr wohl 1903.

Das Gebäude steht heute noch. Mitten auf dem Grundstück, auf dem das neue Rathaus gebaut wird. Und es sogt dafür, dass Norbert Schücking immer wieder die Hutschnur hochgeht. Dass er sich aufregt, wenn er seine Zeitung liest, die Elmshorner Nachrichten. „Alle sprechen immer von einer Verladestation. Das war nie eine Verladestation, sondern immer die Baustoffhandlung Joh. Meyn“, stellt Stücking im Wohnzimmer seines Hauses an der Kaltenweide richtig.

Norbert Schücking ist ein Zeitzeuge mit brillanter Erinnerung

Die Aufregung ist ihm deutlich anzumerken. Das Wort Verladestation bringt ihn regelrecht auf die Palme. Und das ist gar nicht gut für den Elmshorner. Denn der Mann ist sage und schreibe 104 Jahre alt – auch wenn das niemand glauben wird, der ihm gegenübersitzt, der mit ihm spricht, sich seine Erinnerungen an die alten Zeiten anhört.

Die Baustoffgroßhandlung Meyn in voller Blüte. Links neben dem Gebäude sind die Gleise zu erkennen.

Die Baustoffgroßhandlung Meyn in voller Blüte. Links neben dem Gebäude sind die Gleise zu erkennen. Foto: Aus der Firmenchronik

Schücking ist Zeitzeuge für ein gewaltiges Stück Elmshorner Geschichte, speziell für das Unternehmen, das Johannes Meyn 1857 gegründet hatte. Schücking hat Hochzeit und Niedergang der Firma hautnah erlebt. 40 Jahre hat er in dem Gebäude am Vormstegen gearbeitet, war Prokurist und am Ende auch Inhaber. „1986 wurde der Betrieb geschlossen und das Grundstück verkauft“, sagt er und tupft sich mit seinem Stofftaschentuch den Mund ab, das er aus seiner linken Hosentasche angelt.

„Der Firmengründer Johann Meyn würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass seine Baustoffhandlung in Elmshorn als Verladestation bezeichnet wird.“

Ex-Prokurist und Inhaber des Baustoffgroßhandels

Die aktuelle Diskussion um die Zukunft des alten Gebäudes, seines alten Arbeitsplatzes, verfolgt er mit Argusaugen. „Natürlich wäre es schön, wenn das Haus nicht abgerissen wird“, sagt er. Aber 1,5 Millionen Euro ausgeben, um daraus eine Radgarage mit 87 Stellplätzen für die Mitarbeiter der Verwaltung zu machen? Schücking winkt ab. Kein Ton kommt über seine Lippen. Aber in seinem Gesicht ist deutlich abzulesen, was er von diesen Plänen hält.

Ein Bahngleis führte zu Peter Kölln

Gegenwart und Vergangenheit: An die beiden Bahngleise erinnert er sich noch sehr gut. „Eines endete bei uns an der Baustoffhandlung. Das andere führte noch weiter bis zu Peter Kölln.“ Die Gleise habe Firmengründer Johann Meyn gebaut. Verladestation: Aufgrund der Gleisanlage tauchte das Wort schon vor Jahren in Politik und Verwaltung auf und es sitzt bis heute in vielen Köpfen fest.

Norbert Schücking feiert zweimal im Jahr Geburtstag

Schücking, am 15. Januar 1921 in Österreich geboren, war Kampfpilot im Zweiten Weltkrieg. Zweimal wurde er abgeschossen. Einmal ist er über Deutschland mit seinem Fallschirm aus seiner brennenden Maschine ausgestiegen. Am 22. Februar 1944. Er hat überlebt. „Aus dem Fallschirm hat sich seine Frau später eine Bluse genäht“, erinnert sich die Tochter Renate Röpcke. Seit dem dramatischen Ereignis wurde Norbert Schückings Geburtstag zweimal im Jahr gefeiert.

Das Grab seiner Gunda besucht er täglich

„47 Jahre war ich verheiratet“, sagt der 104-Jährige. Das Grab seiner Gunda besucht er immer noch täglich auf dem Friedhof an der Friedensallee. Dort ist auch Firmengründer Johann Meyn beerdigt. „Der würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass seine Baustoffhandlung in Elmshorn als Verladestation bezeichnet wird.“

Gebäude hat mehrfach den Fluten getrotzt

Das Gebäude ist wohl mehr als 120 Jahre alt. Erst sollte es im Zuge des Rathausneubaus abgerissen, dann zur Radgarage umgebaut werden. „Das ist ein gutes Gebäude“, sagt Schücking, das sogar mehrfach den Fluten getrotzt habe. Er weiß noch heute, wo alles gelagert wurde. Hat den Ausstellungsraum mit den Fliesen noch vor Augen. Irgendwie würde es ihn schon freuen, wenn dieses historische Gebäude den Stadtumbau überlebt und nicht platt gemacht wird, auch wenn er bei den Kosten für die Erhaltung der Immobilie mit den Augen rollt.


Millionenschaden und Verletzte: Dramatischer Zugunfall bei Elmshorn 1995: Feuerwehrmann erinnert sich an Rettungseinsatz


(Quelle: Elmshorner Nachrichten)

Zugunglück Horst, 29. Juni 1995
Zwei Personen- und fünf Güterwagen wurden bei dem Zugunglück zerstört. Der Schaden ging in die Millionen und wurde auch von Kamerateams dokumentiert. Foto: Ortsarchiv Horst

Bei einem Zugunglück sind vor 30 Jahren 20 Menschen zum Teil schwer verletzt worden und ein Sachschaden von 2,5 Millionen D-Mark entstanden. Bis heute erinnern sich die Einsatzkräfte an den schweren Unfall. Der amtierende Horster Wehrführer Jens Steenbock ist einer von ihnen.

Ein schweres Zugunglück überschattete vor 30 Jahren den Sommer in der Gemeinde Horst. 20 Menschen wurden dabei teils schwer verletzt, es entstand ein Schaden in Millionenhöhe. Auf der zweigleisigen Hauptstrecke zwischen Hamburg und Kiel war am 29. Juni 1995 zwischen den Bahnhöfen Elmshorn und Dauenhof ein Regionalzug mit Tempo 120 auf einen haltenden Güterzug aufgefahren. Unsere Redaktion erinnert an den Vorfall mit einer zweiteiligen Geschichte. So erlebte der amtierende Horster Wehrführer Jens Steenbock den dramatischen Rettungseinsatz.

Er war damals Gruppenführer und wurde gegen 0.45 Uhr von seinem Funkmeldeempfänger aus dem Schlaf gerissen. Blitzschnell zog er sich an und fuhr zum Feuerwehrhaus. „Von dort ging es zu dritt mit dem Tanklöschfahrzeug TLF 8/18 zur Einsatzstelle“, erinnert er sich. „Es war sehr dunkel, fast Totenstille, und es dauerte eine Zeit, bis wir die ersten Stimmen hörten. Kurz darauf kamen uns sechs, sieben Menschen entgegen.“ Die leichtverletzten Passagiere hatten sich aus dem verunglückten Zug selbst in Sicherheit bringen können.

Der Horster Wehrführer war 1995 Gruppenführer und als solcher an dem Rettungseinsatz beteiligt. Foto: Wolfgang Duveneck

Der Horster Wehrführer war 1995 Gruppenführer und als solcher an dem Rettungseinsatz beteiligt.

Noch konnten die bereits eingetroffenen Feuerwehrleute das ganze Ausmaß des Unglücks nicht erkennen. Deshalb waren sie froh, dass in kurzem Abstand weitere Einsatzkräfte eintrafen. „Die Besatzung von unserem Löschfahrzeug LF 16/12 baute sofort die fahrzeuggebundene Beleuchtung auf“, berichtet der damalige Gruppenführer. „Wir haben uns aufgeteilt, um zusammen mit dem Rettungsdienst die Verletzten aus dem Zug zu holen. Ich selbst habe mich mit um die Personenrettung aus der Lok gekümmert.“

Auf dem Führerstand befanden sich zwei Lokführer, einer von ihnen hatte kurz vorher Feierabend gemacht und wollte nach Hause. Über Steckleitern erreichten die Rettungskräfte aus Horst und Elmshorn, Notarzt und Sanitäter den völlig zertrümmerten Führerstand. Mit einer Rettungsschere wurden die eingeklemmten Männer schließlich befreit. Laut Einsatzbericht war die Rettung des ersten Lokführers nach 45 Minuten abgeschlossen. Der zweite war nach 70 Minuten befreit.

Unter den Geretteten waren auch die beiden Lokführer. Foto: Ortsarchiv Horst

Unter den Geretteten waren auch die beiden Lokführer.

Nach und nach waren schon wenige Minuten nach Alarmierung auch die Feuerwehren aus Elmshorn, Kiebitzreihe, Itzehoe, Sparrieshoop, die Bahnfeuerwehr aus Glückstadt und das THW hinzugekommen. Zwei Rettungsfahrzeuge und ein Notarztwagen waren bereits vor Ort und wurden auch dringend gebraucht: Eine junge Frau etwa, so erinnert Steenbock, hatte einen offenen Oberschenkelbruch.

Jens Steenbock ist sich sicher, dass die geringe Zahl der Fahrgäste im Zug Schlimmeres verhindert hat. Und auch die elektrische Oberleitung, die damals gerade installiert, allerdings noch nicht eingeschaltet worden war, war bei den Rettungsarbeiten kein Hindernis. Während die benachbarten Feuerwehren nach einigen Stunden etappenweise wieder abrücken konnten, war für die Horster Wehr erst nach mehr als 24 Stunden Einsatzende. Sie musste bei den Aufräumarbeiten den Brandschutz sicherstellen. Mehrmals wurde damals bei Schweißarbeiten und Arbeiten mit dem Trennschleifer ein Strahlrohr eingesetzt, um einen Brand zu verhindern.

Die Informationen, die es heute noch zum Eisenbahnunglück vom Juni 1995 gibt, verwahrt das Team um Elly Böttger und Werner Schlüter. Beide arbeiten im Ortsarchiv Horst. Foto: Wolfgang Duveneck

Die Informationen, die es heute noch zum Eisenbahnunglück vom Juni 1995 gibt, verwahrt das Team um Elly Böttger und Werner Schlüter. Beide arbeiten im Ortsarchiv Horst.

Inzwischen zeugen nur noch wenige Fotos von dem Großeinsatz. Und auch die Erinnerung ist bei den damals Beteiligten verblasst. Das wissen auch Elly Böttger und Werner Schlüter, die im Horster Ortsarchiv das Eisenbahnunglück dokumentiert haben. Elly Böttger ist DRK-Ortsvereinsvorsitzende. Auch sie hat den Unfall noch in Erinnerung. Ihre Eltern wohnten nur wenig entfernt vom Einsatzort. Werner Schlüter, ebenfalls gebürtiger Horster, hatte erst mit Verspätung von den Einzelheiten erfahren. Denn die Kommunikation sah vor 30 Jahren, als noch nicht jeder ein Mobiltelefon besaß, anders aus als heute.